Mietvertrag mit Bauverpflichtung: Kann sich der Mieter von Gewerberaum gegen Vermögensschäden bei verspäteter Übergabe durch eine Vereinbarung im Mietvertrag vertraglich absichern? Adobestock von mrmohock
16 August

Mietvertrag mit Bauverpflichtung: Kann sich der Mieter von Gewerberaum gegen Vermögensschäden bei verspäteter Übergabe durch eine Vereinbarung im Mietvertrag vertraglich absichern?

Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 09.12.2022, Az. 4 U 20/21
Mit dieser Frage hatte sich das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen (im Folgenden „OLG Bremen“) in seiner Entscheidung vom 09.12.2022 (Az.: 4 U 20/21) auseinanderzusetzen.
Die Entscheidung ist sowohl für Vermieter von Geschäftsräumen, als auch für deren gewerbliche Mieter, von hoher Praxisrelevanz.

Zur Einordnung:
Bei einem Mietvertrag mit Bauverpflichtung wird ein Mietverhältnis über ein noch zu errichtendes Gebäude geschlossen. Der Vermieter schuldet demnach nicht nur die in einem Mietvertrag übliche Gebrauchsüberlassung – er muss zudem seiner Verpflichtung zur Herstellung des vermieteten Objektes nachkommen.
Hier besteht gerade aufgrund der aktuellen Situation die Gefahr der nicht rechtzeitigen Fertigstellung der Geschäftsräume.
Die aus einer Bauzeitverzögerung resultierende verspätete Übergabe der Gewerberäume ist für die gewerbebetreibenden Mieter in der Regel mit finanziellen Schäden verbunden, weil der Mieter sein Gewerbe erst verspätet ausführen kann.


Der von dem OLG Bremen zu entscheidende Fall ereignete sich wie folgt:
Die Parteien hatten einen Mietvertrag über Geschäftsräume in einer Gewerbeimmobilie geschlossen. Der Mietvertrag beinhaltete eine Vermietung mit Bauverpflichtung. Zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses war das Bauvorhaben noch nicht fertiggestellt.
In dem von den Parteien unterzeichneten Mietvertrag war die nachfolgende Regelung enthalten, die individuell zwischen den Parteien ausgehandelte wurde:

§ 4 Mietzeit und Kündigung

(1) Das Mietverhältnis beginnt grundsätzlich mit der Übergabe am 30.08.2017. (…)
Gerät der Vermieter mit der Übergabe der Mietsache in Verzug, ist für jeden Kalendertag
eine Vertragsstrafe in Höhe von 4.500,00 € verwirkt. Weitergehende Schadensersatzansprüche
bleiben unberührt. Die Vertragsstrafe wird auf einen Schadensersatzanspruch
angerechnet.
[…]"

Im oben genannten Auszug des Mietvertrages wurden zwei entscheidende Regelungen getroffen. Zum einen wurde vereinbart, dass die Mieträume am 30.08.2017 übergeben werden. Darüber hinaus wurde eine Vertragsstrafe i.H.v. 4.500,00 € pro Tag vereinbart - für den Fall, dass sich die Übergabe der gemieteten Geschäftsräume verzögert.
Es kam, wie es kommen musste. Die Mieträume wurden erst im November 2017 übergeben, weshalb die Mieter auf Grundlage der Vertragsstrafenregelung einen Betrag i.H.v. 4.500,00 € pro Tag und damit insgesamt 378.000,00 € einforderten.


Vertragsstrafenregelung nach Grund und Höhe wirksam?
Das Gericht hat geprüft, ob die Vertragsstrafenregelung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt oder gar sittenwidrig ist. In beiden Fällen wäre die Vertragsstrafenregelung unwirksam.
Bei der vom Gericht durchgeführten Angemessenheitsprüfung mussten sowohl die Interessen des Mieters als auch die des Vermieters berücksichtigt werden. Ebenfalls musste geprüft werden, ob die Sanktion außer Verhältnis zum Gewicht des Vertragsschlusses steht.

Das Gericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass

„die Vertragsstrafe als allgemeine Lösung angesichts des anhaltenden Interesses des Mieters an der Einräumung der Nutzungsmöglichkeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses“

angemessen sei.

Bei der Vertragsstrafe handelt es sich um einen pauschalierten Schadensersatz. Dieser soll den potenziellen Schaden auffangen, der für den Mieter im Falle einer verspäteten Übergabe entstehen kann.
Zudem dient die Vertragsstrafe als Druckmittel, um den Vermieter zur Vertragserfüllung anzuhalten.
Diese Aufgabe könne die Vertragsstrafe nur erfüllen, wenn sie eine „spürbare Höhe“ habe - so das Gericht. Dabei müsse eine Vertragsstrafe nicht im Verhältnis zur Höhe der Miete stehen.
Ob die Vertragsstrafe der Höhe nach angemessen ist, ist pauschal nicht zu beantworten und bedarf letztendlich einer Bewertung aller Umstände des Einzelfalls.
Ein entscheidender Faktor für die angemessene Höhe der Vertragsstrafe ist, wenn diese - wie im vorliegenden Fall - zwischen den Parteien ausgehandelt worden ist.

In dieser Konstellation hätten die Parteien insoweit

„in einer im unternehmerischen Rechtsverkehr nicht zu beanstandenden Weise einen pauschalierten Ausgleich für die schwerwiegende Vertragsverletzung des Beklagten, der verspäteter Übergabe des Mietobjektes, vereinbart.“

Anders formuliert: Die Parteien haben sich bewusst – und in Kenntnis ihrer eigenen Leistungspflichten- und -Risiken - für die Aufnahme der Vertragsstrafenregelung in der konkreten Höhe entschieden.

Das Gericht ging sogar noch einen Schritt weiter:
Auch die Tatsache, dass die Parteien keine zeitliche Obergrenze für die Vertragsstrafenregelung getroffen haben, führt nicht zu dessen Unwirksamkeit.
Schließlich sei es „einer der gröbsten denkbaren Vertragsverstöße“, wenn der Vermieter, welcher neben der Vermietung auch die Bauverpflichtung schuldet, dieser Verpflichtung nicht rechtzeitig nachkommt. Dies hatte der BGH bereits mit Urteil vom 12.03.2003 (AZ.: XII ZR 18/00) klargestellt. Ob dem Vermieter die verspätete Übergabe zu verschulden hat oder nicht, sei nicht von Belang.
Wie das OLG Bremen darlegte, würde der Zweck der Vertragsstrafenregelung als Druckmittel entscheidend entwertet werden, wenn eine zeitliche Grenze verlangt werde würde. Gleiches gelte für einen etwaigen Höchstbetrag.
Schließlich habe es der Vermieter selbst in der Hand, der Geltendmachung der Vertragsstrafe durch die rechtzeitige Übergabe der Geschäftsräume entgegenzuwirken.

Praxisempfehlung: Individuelle Vereinbarung abschließen – Vorsicht bei AGB!
Ausgangspunkt für die rechtliche Prüfung im vorliegenden Fall war, dass es sich bei den zitierten Klauseln nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen („AGB“) handelte.
AGB sind für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt, § 305 Absatz 1 S. 1 BGB.
AGB unterliegen der sogenannten Inhaltskontrolle. Dadurch ist bei der Bewertung ein strengerer Maßstab anzulegen.
Der Schutzmechanismus der „Inhaltskontrolle“ ist in dem vom OLG Bremen zu entscheidenden Fall aufgrund der individuell vereinbarten Vertragsstrafenregelung entfallen.


Egal ob individualvertraglich oder per AGB – Vertragsstrafenregelungen müssen gut durchdacht sein!
Aufgrund der hohen finanziellen Bedeutung sollte eine Vertragsstrafenregelung – gleich ob durch Individualabrede oder AGB – nicht leichtfertig in gewerbliche Mietverträge aufgenommen werden.
Ob in den von Ihnen bereits abgeschlossenen gewerblichen Mietverträge eine wirksame Vertragsstrafenregelung getroffen wurde oder in welchem Umfang eine solche Regel bei neuen Vertragsabschlüssen aufgenommen werden kann, bedarf einer sorgfältigen Prüfung anhand des jeweiligen Einzelfalles.

Gerne stehen wir Ihnen als Experten im Bereich des gewerblichen Mietrechts beratend zur Seite!

 

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